Interview mit Tim Plamper

Interview mit Tim Plamper

Interview mit Tim Plamper

Portrait Tim Plamper

Photo by Nicolas Blanchadell

Vincent Schneider: Während deiner letzten Performance hatte ich den Eindruck du und alle Performer*innen würden etwas heraufbeschwören. Eine Art Ritual.
Und „plötzlich“ hängst du an einem Bein in der Luft (das Symbol „Der Gehängte“ aus dem Tarot). Schleimtriefend, nachdem du von einer sich in Trance befindenden Performerin mit Schleim ohnmächtig geprügelt wurdest. Was interessiert dich an solchen transitorischen Prozessen?

Tim Plamper: Für mich beinhaltet Kunst immer eine transformatorische Qualität. Etwas Innerliches findet eine neue Form im Außen und wird somit neu oder einfach anders greifbar und somit auch kommunizierbar.
Im Falle dieser letzten Performance in Kollaboration mit der Modedesignerin Luisa Weißflog, die die oben beschriebene Performerin war, geht es aber auch ganz konkret um einen transitorischen Moment. Eigentlich aber gar nicht um einen Moment, sondern eher um einen absolut einzelnen Punkt eines Transitprozesses – den singulären Zeitpunkt eines Übergangs, den Nicht-Ort der Grenze oder die Singularität, auf den auch der Titel der Performance „Security IV (Event Horizon)“ anspielt. Ich denke, man kann sagen, dass es sich um das Ritual einer Initiation handelt, die aber noch nicht” zur Gänze eingelöst wird. „Der Gehängte“ erschien mir als Symbol hierfür sehr passend - vor allem wenn man ihn verdoppelt und mit den Köpfen einander zugewandt in erweiterten Form sieht. Für mich war das die treffendste Übersetzung des Konzeptes eines schwarzen Loches, in Bezug auf unsere menschliche Lebenswelt, in der sich das Innen und Außen berühren. Dieses Bild stand ganz am Anfang der Arbeit an „Security IV (Event Horizon)“.

VS: In deiner Arbeit vereinst du viele Disziplinen. Oft ist dein eigener Körper ein Medium. Kürzlich hast du eine Ausstellung über Zeichnungen co-kuratiert. Welche Bedeutung haben für dich Zeichnungen in deiner Arbeit?

TP: Zeichnungen sind für mich die absolute Basis meiner künstlerischen Arbeit und bilden den Boden, aus dem alles Weitere hervorgeht. Auch sind sie mein ursprünglichstes und unmittelbarstes Ausdrucksmittel. In ihnen findet mein Innen eine erste Konkretisierung im Außen und sind somit auch wichtige Kommunikationsmittel – gegenüber anderen aber auch für mich selbst.
Im Laufe der letzten 5 Jahre habe ich allerdings festgestellt, dass es vor allem auch der performative Aspekt von Zeichnung ist, der mir entspricht und meinem Anliegen ermöglicht, sich auszudrücken und währenddessen als Spur dieses Prozesses gleichzeitig Gestalt anzunehmen (…sich als Gestalt niederzuschlagen). Dieser neue Blickwinkel auf Zeichnung hat mich damals einigermaßen überrascht und seitdem vor allem sehr fasziniert.
Und auch beim Kuratieren und organisieren von (Zeichnung)Ausstellungen interessiert mich vor allem der kommunikative Aspekt - zwischen den Kunstwerken an sich und deren ganz unterschiedliche zeitliche Herkunft, aber auch der Austausch und die Gespräche, die in einem solchen Rahmen zwischen allen Beteiligten entstehen.

VS: Letztens habe ich über Hegels Dreitackt von These, Antithese und Synthese und die Verknüpfung mit der Theorie des Homo ludens nachgedacht und das Selbst als einen Zustand empfunden, welcher ständig die Mitte finden muss zwischen Innen- und Außenwelt, um sich nicht aufzulösen im Sein. Deine Arbeit wirkt auf mich wie Alchemie. Welche Erkenntnistheorie verfolgst du beim Schaffen?

TP: Bevor ich Kunst studierte, hatte ich ein Chemiestudium abgebrochen. Dein Vergleich liegt also tatsächlich auch in Bezug auf meine Biografie nahe. Außerdem beschäftigte ich mich seit meinem Studium an der Akademie in Stuttgart bei Alexander Roob tatsächlich sehr intensiv mit der alchemistischen Bildwelt. Mir gefällt vor allem die metaphorische Tiefe der dort abgebildeten Systeme und ich erkenne dort oft Parallelen zu meinem eigenen Denken und Arbeiten. Ähnlich verhält es sich mit dem Tarot. Denn auch in meiner Praxis verknüpfe ich verschiedene zeitliche und symbolische Ebenen miteinander, um ein komplexes mentales Flechtwerk entstehen zu lassen. 

Dabei fühle ich mich oft als Fischer in dunklen Gewässern: Was sich im verzweigten Liniengeflecht meines künstlerischen Prozesses verfängt, taucht als komplexe "Gestalt" aus den Tiefen meiner menschlichen Natur wieder auf - scheinbar uralt und doch so lebendig, als wäre sie gerade erst geboren worden. Es scheint, dass hier nur ein Subtext die tiefere Ebene einer unbekannten Erzählung auftaucht. Die "Gestalten" selbst bleiben schwer fassbar. Versucht man ihnen durch Beschreiben habhaft zu werden, scheitert man am Dualismus des sprachlichen Verständnisses. Immer wieder entziehen diese “Gestalten” sich einer eindeutigen Bestimmung und verhalten sich wie fließende geistige Gebilde, die sich nur schwer an ein Gefäß anpassen können - manchmal ändern sie ihre Form, aber nie ihr Wesen. 

Und obwohl sie klar identifizierbar sind, lassen sie sich nicht vom Ganzen trennen. Wie in einem Blutkreislauf sind sie unwiderruflich miteinander verbunden. Trennt man sie dennoch mit dem Skalpell der Vernunft aus der Komposition heraus, sterben sie ab und verlieren ihre Vitalität.
Um aber auch den ersten Teil deiner Frage zu beantworten, zitiere ich gerne einen Satz aus einem kürzlich mit dem Berlin Art Diary geführten Interview: "Meine Innenwelt und meine Außenwelt kommt in mir zusammen und dieser Nullpunkt ist das Ich.”


VS: Aus welchem Teil deiner Arbeit kommen deine Zeichnungen, die wir im Programm haben?

TP: Diese Reihe von Zeichnungen entstammt dem letzten abgeschlossenen Block von ein paar Hundert Blättern, die in den letzten Monaten und in Zusammenhang mit meiner letzten Performance „Security IV (Event Horizon)“ entstanden sind. Diese Performance ist zugleich auch Teil der Vorbereitungen meines nächsten Filmes und der damit verbundenen Ausstellung „Exit II (An den Grenzen)“, an denen ich seit letztem Jahr arbeite und als solcher eine Art Prélude und Experimentierfeld, um mir mehr inhaltliche und formale Klarheit zu verschaffen. Dafür habe ich auch sehr viele Blätter mit Skizzen, Konzepten und vielen Formen von „Landkarten“ gefüllt.

Ich habe schon immer mit Reihen und Gruppen von Zeichnungen gearbeitet.

Im Prinzip kann man sagen, dass ich damit angefangen habe, als ich mit 10 Jahren feststellte, dass bis auf ganz wenige Ausnahmen alle meine Kinderzeichnungen verschollen waren. Denn als Reaktion darauf habe ich selbst alles noch verbliebene in Aktenordnern für mich archiviert und auch alle danach entstandenen Zeichnungen in dieser Art gesammelt. So entstand bis zu meinem Kunststudium etwa ein Meter Zeichnungen, die gleichzeitig ein visuelles Tagebuch meiner Jugend darstellen. Die Aktenordner gaben mir damals das DIN-A4-Format vor. Diese Methode habe ich vor 5 Jahren wieder aufgegriffen.

Seitdem sind mehrere dieser Zeichnungsblöcke entstanden. Seit einiger Zeit spreche ich über diese Blöcke als Sediment und finde diese Bezeichnung sehr treffend. Denn es ergab sich bis zu diesem Zeitpunkt öfter das Problem einer Auswahl oder einer Reihenfolge. Das fand ich sehr störend, bis ich beschloss, alles in diesem Format entstehende oder gefundene einfach in Stapeln abzulegen. Es ist also eine total rohe Formatierung.

VS: (entdeckt im Gespräch in Plastiktüten eingeschweißte Stapel von DIN-A4 Blättern) Was hat es mit den Tüten auf sich?

TP: Im Rahmen meiner Einzelausstellung „Exit II (The Beloved Dies)“ bei NOD in Prag, hatte ich sowohl Erde aus dem Garten meiner Urgroßmutter als auch Blöcke von Zeichnungen bei einem Fleischer in Prag in Plastikfolie einschweißen lassen. Ich mag, dass die Zeichnungen in dieser Präsentationsform eine zusätzliche körperliche Qualität ähnlich der von Fleischstücken bekommen, die der inneren rohen Form der Blöcke entspricht und diese gleichzeitig mit einer schützenden und vereinenden künstlichen wie zeitgemäßen Haut umgeben.

VS: Vielen Dank Tim!

Hier findet ihr seine Zeichnungen

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